Illiberale Demokratien in Europa
Gabór Polyák, Professor an der Universität Pécs, Ungarn, zeichnet in seinem Referat ein düsteres Bild der Situation in Ungarn: rechtsstaatliche Institutionen wie die Gerichte oder der Rechnungshof funktionieren nicht mehr, sondern bestehen nur noch formal, denn ihre Mitglieder sind weitgehend Anhänger des Ministerpräsidenten Orban. Die Medien sind total von der Regierung abhängig, die Leitung der Universitäten und der Schulen werden ebenfalls durch die Regierung ernannt und haben keine kritische Autonomie mehr. Polyák macht auch die EU für die Entwicklung verantwortlich und verlangt, dass die EU weitere Fördergelder an klare Bedingungen knüpft oder stoppt.
Dr.Magdalena Solska, Lehrbeauftragte an der Universität Fribourg, stimmt der Analyse zu, beschreibt die Lage aber differenzierter. Es gibt in Ungarn noch immer eine Opposition, welche allerdings sehr vielfältig und deshalb oft gespalten ist. Immerhin hat sie bei den kürzlichen Gemeindewahlen gewisse Erfolge gehabt. In den sozialen Medien, welche v.a. von jungen Leuten konsumiert werden, finden sich durchaus regierungskritische Beiträge. Zur Situation in Polen gibt es Parallelen. Dazu gehört die wachsende Polarisierung: der politische Gegner wird als Feind betrachtet. Bedeutende Verfassungsänderungen werden ohne lange Debatte und ohne Kompromisse durchgesetzt. In Polen betrifft das v.a. die Justizreform. Im Unterschied zu Ungarn stehen die Medien auch der Opposition zur Verfügung. Sie hat auch eine knappe Mehrheit im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, welche allerdings Beschlüsse nur verzögern, nicht verhindern kann.
In der von Casper Selg moderierten Diskussion relativiert Nationalrätin Christa Markwalder, Präsidentin der SGA, die Möglichkeiten der EU, Ungarn die Gelder zu verweigern, u.a. weil es für die meisten Beschlüsse Einstimmigkeit braucht. Auf den Einfluss der Schweiz angesprochen, bezweifelt Frau Markwalder, dass die Kohäsionszahlungen an Bedingungen geknüpft werden können. Ausserdem sei der Gesamtbetrag nicht sehr hoch, der Ungarn zur Verfügung stehen wird. Wichtig erscheint ihr aber, dass die Schweiz weiterhin Einfluss nimmt auf die EU-Projekte, welche mit Schweizer Unterstützung finanziert werden.
Als Präsident der SHV habe ich mich zur Rolle der OSZE geäussert. Das Büro für institutionelle Demokratie und Menschenrechte (ODIHR), welches beim Aufbau der rechtstaatlichen Institutionen beteiligt war, hat die Verletzungen von Rechtsstaat und Menschenrechten sowohl in Ungarn als in Polen kritisiert. Ebenfalls der Beauftragte für Medienfreiheit. Im Übrigen ist die OSZE eine lose Organisation, welche bei Verletzung von Grundsätzen keine Sanktionen verhängen, sondern höchstens für Transparenz sorgen und politischen Druck entwickeln kann. Die Situation der Helsinki Vereinigungen in Ungarn, Polen, aber auch z.B. Bulgarien ist prekär. Sie werden wegen ihres Einsatzes für Menschenrechte von den Behörden schikaniert und z.T. mit Verbot bedroht oder müssen sich registrieren lassen, wenn sie ausländische Sponsoren haben. Umso beachtlicher der Mut der Mitglieder der Helsinki Vereinigungen und anderer NGOs. Alle TeilnehmerInnen des Podiums waren sich einig, dass illiberale Tendenzen vermutlich ein langfristiges Problem in Europa bleiben.
Christoph Lanz
Eine gemeinsame Veranstaltung der SHV und der SGA.